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Stealthing-Beitrag bei Bento

Für ihre Recherche zum Beitrag “Isabells Partner hat heimlich das Kondom abgezogen”, der Stealthing als Akt der sexualisierten Gewalt behandelt, haben wir Bento-Journalistin Marlene Gernath ein paar Fragen beantwortet:

Es handelt sich dabei um einen klaren sexistischen Übergriff. Inwiefern ist eine solche Einbettung in gesellschaftliche Herrschaftsverhältnisse relevant oder hilfreich?

Die Verinnerlichung von sexistischen Normen und Werten, die wir übrigens alle in uns tragen und weitertragen, resultieren u. a. in sexistischen Handlungen. Darunter ist (auch) sexualisierte bzw. sexuelle Gewalt zu subsumieren. Juristisch wird Stealthing als sexueller Übergriff benannt und verfolgt. Dies ist allerdings nur der “technische” Begriff, der eine Fachsprache aus dem juristischen Kontext darstellt.

Wir finden, “sexistischer Übergriff” ist hier eine irreführende und verharmlosende Bezeichnung. Sie verhindert die Auseinandersetzung damit, dass es um Ausübung von Gewalt gegen eine Person geht. Wir ordnen Stealthing deshalb klar sexualisierter Gewalt zu. Zudem gehen wir davon aus, dass, wie immer bei sexualisierter Gewalt, dies nicht nur im heterosexuellen Kontext sondern auch in allen anderen Konstellationen passiert. Stealthing gibt es in allen Kontexten in denen Kondome bei Penetrationssex verwendet werden z. B. auch Analverkehr von zwei Menschen mit Penis.

Beim Akt des Stealthing findet eine Reproduktion von Machtverhältnissen statt, indem sich über konsensualen Geschlechtsverkehr hinweggesetzt wird. Konsensual, weil es eine Verabredung zur Verhütung mit Kondom gibt. Es geht um Besitznahme. Betroffenen wird nicht nur eine eigene Entscheidung abgesprochen. Sie können außerdem noch nicht einmal “nein” sagen. Betroffene werden damit unwissentlich zum Objekt degradiert. Der Willen der Betroffenen, die Bestimmung über den eigenen Sexualakt und das Recht auf körperliche Unversehrtheit findet keinen Platz. Die Legitimationsstrategie von “gefühlsechtem” Geschlechtsverkehr  – die sich gleichermaßen auch zum Maßstab verkehrt (selbst Kondomfirmen werben damit) – ist wirksamer als das sexuelle Selbstbestimmungsrecht der Person, mit der man Penetrationssex hat. Ganz im Gegenteil gleicht die Hinterlistigkeit des Übergriffs durch seinen sneakigen Charakter einer Gamification (Reiz des Spiels) sexualisierter Gewalt. Mit dem Ziel nicht entdeckt zu werden, erhebt sich die ausübende Person über sexuelle und reproduktive Rechte von anderen. Hier wird deutlich, dass die ausübende Person kein Bewusstsein von reproduktiver Verantwortung hat. Diese wird einfach auf die betroffene Person übertragen, die sich dann ggf. mit einer ungewollten Schwangerschaft oder sexuell übertragbaren Krankheiten auseinandersetzen muss.

Sexualisierte, sexistische Gewalt findet schließlich nicht im luftleeren Raum statt. Eine Einbettung in gesellschaftliche Herrschaftsverhältnisse ist somit unerlässlich, da diese genauer benennen, wie es zu solchen Handlungen kommt, bzw. wie die Gesellschaft diese verharmlost, schützt, oder gar gut heißt: Continue reading