Zum Recht auf Abtreibung in den Niederlanden

Interview

Der International Safe Abortion Day findet jedes Jahr am 28. September statt und zielt auf das grundsätzliche Recht auf Zugang zu einem sicheren und legalen Schwangerschaftsabbruch. Anlässlich dieses Tages hat weiterdenken uns gebeten, einen Blick auf die Situation von ungewollt Schwangeren in den Niederlanden zu werfen.

https://www.weiterdenken.de/de/2020/10/14/zum-recht-auf-abtreibung-den-niederlanden

Wie bewertet ihr die aktuelle gesetzliche Lage in den Niederlanden? Was unterscheidet sie von der in anderen europäischen Ländern? Sind die Niederlanden einzigartig in Europa?

Ähnlich wie in Deutschland konzentriert sich die niederländische Gesetzgebung sowohl auf den Schutz von “ungeborenem Leben” als auch die Unterstützung der ungewollt schwangeren Person. Seit 1984 ist der Schwangerschaftsabbruch im “Wet afbreking zwangerschap” (Wafz), dem Schwangerschaftsabbruchgesetz, geregelt. Außerdem sind Abtreibungen laut niederländischem Strafgesetzbuch dann illegal und strafbar, wenn sie nicht im Einklang mit den gesetzlichen Vorschriften (siehe Wafz) erfolgen. Nach Artikel 82a des Strafgesetzbuches sind Abtreibungen außerdem dann Straftaten, wenn der Fötus zum Zeitpunkt der Abtreibung lebensfähig gewesen wäre. Das bedeutet konkret, dass eine ungewollt schwangere Person bis zu 24 Wochen (5,5 Monate) nach der Empfängnis im Falle einer Notsituation abtreiben kann und sich Mediziner:innen, die dem Wunsch folgen, nicht strafbar machen. Eine klare Definition einer Notsituation ist derweil nirgends festgeschrieben oder eingeschränkt, sodass das Gesetz sehr großzügig interpretiert wird und illegale Abtreibungen u.a. deshalb kaum existieren. Spätabtreibungen, also Abtreibungen nach der 24. Woche, sind durch das Gesetz nicht abgedeckt.

Vor dem 16. Tag nach der überfälligen Periode bedarf es keiner Wartezeit für einen Abbruch. Danach muss einer Abtreibung eine Bedenkzeit von mindestens 5 Tagen vorausgegangen sein. Die Bedenkzeit wird durch die Konsultation eine:r Ärzt:in eingeleitet und muss von der Bereitstellung von verantwortungsvollen Informationen über andere Lösungen als den Schwangerschaftsabbruch begleitet sein. Während die erste Konsultation auch durch eine:n Allgemeinmediziner:in passieren kann, darf die Behandlung nur von einer:m Ärzt:in, einem Krankenhaus oder einer Klinik durchgeführt werden, die vom Ministerium für Gesundheit, Wohlfahrt und Sport lizenziert wurden. Diese Lizenzen sind dabei unterschiedlicher Couleur.

In den Niederlanden gibt es 14 auf Abtreibung spezialisierte Kliniken, in denen 95 Prozent aller Abbrüche stattfinden. Nur in Heemstede und Utrecht sind sie bis zur 22. Schwangerschaftswoche (24. Empfängniswoche) möglich. Auf Grund der Spezialisierung findet man dort sehr gut ausgebildete Ärzt:innen sowie eine angemessene Gesundheitsversorgung. Diese Kliniken sind zumeist „non-profit clinics“. Allen ungewollt Schwangeren, die legal in den Niederlanden leben, wird der Abbruch durch die Pflegeversicherung Algemene Wet Bijzondere Ziektekosten (AWBZ) zurückerstattet. Andere müssen ihre Abtreibung selbst zahlen.

Im Vergleich zu anderen Gesetzgebungen, vor allem in Malta, Monaco, Andorra oder San Marino, die für ihre Restriktivität bekannt sind, erscheint die niederländische äußerst liberal, fortschrittlich und wünschenswert. Während in Deutschland Abtreibungen prinzipiell strafbar sind, es sei denn es werden verschiedene Bedingungen erfüllt, sind Abtreibungen bis zur Lebensfähigkeit der Frucht in den Niederlanden realpolitisch straffrei. Anders als in Deutschland gibt es eine Informationsfreiheit von Ärzt:innen und Kliniken, es gibt keine Beratungspflicht für ungewollt Schwangere, es müssen keine Begründungszusammenhänge (Indikationen) kategorisch nachgewiesen werden und die Kostenübernahme ist für jede niederländische ungewollt schwangere Person gesichert. Auch scheinen 24 Wochen im Vergleich zur deutschen 12-Wochenlösung sehr progressiv. Kurzum, die gesetzliche Situation für ungewollt Schwangere in den Niederlande scheint ideal.

Doch auch in Lettland, Estland, der Ukraine, Moldawien, Großbritannien oder Russland kann man noch nach der 20. Schwangerschaftswoche abtreiben, eine Wartezeit muss hier allerdings nicht eingelegt werden. Auch ist der Schwangerschaftsabbruch in Großbritannien nicht im Strafgesetzbuch gelistet, in den Niederlanden dagegen schon. Dies ist auch der einzige medizinische Eingriff, der überhaupt im Strafgesetzbuch aufgeführt wird. So bleibt der Schwangerschaftsabbruch ein Eingriff mit Alleinstellungsmerkmal, der die Normalisierung in der Gesellschaft erschwert. Dies ist im Sinne der reproduktiven Selbstbestimmung sicherlich zu kritisieren und verschafft den Niederlanden keinen Status der Einzigartigkeit.

Eher zu fokussieren wären vielleicht Abbruchgesetze de jure und de facto. In vielen Ländern ist der Schwangerschaftsabbruch bis zur zwölften Schwangerschaftswoche auf Anfrage legal. Trotzdem erlaubt es die Gewissensklausel Ärzt:innen, den Abbruch nicht durchführen zu müssen. Was viele Gesetzgebungen außerdem nicht ansprechen, sind die Rechte ausländischer Personen auf den Schwangerschaftsabbruch oder die Bedürfnisse der sozial und wirtschaftlich Ausgegrenzten. Da und mit Blick auf leicht zugängliche und kostenfreie Verhütungsmittel sowie eine umfassende sexuelle Erziehung nehmen die Niederlande eine wegweisende Stellung ein. Bemerkenswert ist an den Niederlanden deshalb neben den beeindruckend niedrigen Zahlen von Abtreibungen vor allem deren praktische Progressivität bzw. ihre praktische Solidarität – auch unabhängig einer speziellen Gesetzgebung.

Im Zuge von Emanzipationsbestrebungen ab 1967, federführend waren hier “Man-Vrouw-Maatschappi”, “Vrouwencontact” oder die Gruppe “Dolle Mina”, trafen Abtreibungen auf immer mehr Akzeptanz in der niederländischen Bevölkerung. Auch Ärzt:innen weiteten den bereits damals im Gesetzestext festgelegten Begriff der Notwendigkeit immer mehr aus und führten Abtreibungen dadurch eher in juristischen Grauzonen durch. Im November 1971, also noch vor dem Wafz, eröffnete die Stiftung für medizinisch verantwortliche Schwangerschaftsunterbrechung (Stimezo) eine Abtreibungsklinik in Arnheim. Es folgten weitere. Ungewollt Schwangere waren nicht länger auf Krankenhäuser angewiesen, in denen sich Ärzt:innen manchmal weigerten, den Eingriff durchzuführen. Es kam zu weniger Streitereien ob der Zulässigkeit des Abbruchs und anderer bürokratischer Hürden. Die Kliniken weigerten sich, die Staatsangehörigkeit bei Abtreibungen zu berücksichtigen und mit der Spezialisierung der Kliniken ging gleichzeitig eine Modernisierung der Behandlungstechniken einher, die wiederum (bis heute) an ausländische Ärzt:innen weitergegeben wurden. Die Behandlungen wurden sicherer und einfacher. Wartelisten konnten verhindert werden, Schwarzmärkte auch. Sowohl die hochwertige medizinisch-technische Hilfeleistung als auch die effektive Nachsorge führten zur Senkung der Abbruchs- bzw. Wiederholungszahlen.

Angetrieben von diesen Entwicklungen avancierten die Niederlande neben Großbritannien zu einem liberalen europäischen Zentrum des legitimen und legitimierten Abtreibens mit Vorbildcharakter. Davon profitieren bis dato nicht nur Niederländer:innen. Eine sich darauf bezogene stille Sanierung des europäischen Abtreibungsgeschehens ist eines der größten Verdienste der organisierten Hilfeleistung in den Niederlanden.

 

Könnt ihr etwas dazu sagen, welche gesellschaftliche Bedeutung das progressive Abtreibungsrecht für die Niederlanden hat? Und was hat das mit dem Blick auf Körper, die schwanger werden können, zu tun?

Menschen, die in den Niederlanden abtreiben, sind reell weder von Freiheitsstrafen bedroht noch wird ihre Mündigkeit angezweifelt. Ihnen wird zugestanden, – alleine – eine Entscheidung treffen zu können und sie sind nicht von ärztlicher Billigung abhängig. In ihrem aktiven Entscheidungsrecht zur Abtreibung wird ihnen ein Subjektstatus zugesprochen, der im Recht auf die körperliche Unversehrtheit mündet. Daran knüpft sich die Absage an Gebärfähigkeit als “weiblichen” Automatismus, die Absage an erzwungene Mutterschaft. Es gelingt, Scham und Schuld moralisch zu verwerfen – dafür sprechen die hohen Zustimmungswerte der öffentlichen Meinung zur Abtreibung. Außerdem sind Abtreibungen leicht zugänglich. Es liegt nahe, dass die reproduktive Selbstbestimmung ohne Angst vor dem Abtreibungsprozedere als maßgebliches Prinzip gefördert wird. Eine feministische Aktivistin aus den Niederlanden z.B., zu der im Zuge der Recherchen für diesen Artikel Kontakt aufgenommen wurde, meinte unterstützend, dass Verhütung in den Niederlanden als Aufgabe aller Geschlechter verstanden wird und der vorherrschende, sehr progressive Sexualkundeunterricht ein basaler Schritt zur sexuellen Selbstbestimmung darstellt. Sexualität wird nicht mehr mit der Angst vor Abtreibung verknüpft. Dem sonst kontrollierten “weiblichen” Körper wird Lustvolles zugesprochen.

Diese Aktivistin betonte im persönlichen Gespräch außerdem: “Although I do feel it is more likely to encounter a truly pro-life person who is not anti-choice here than maybe elsewhere. I mean that people consider it not done to abort personally, based on their beliefs and values, but consider it important that other people make their own choices and have the option available to them”.1 In dem Verständnis wird der äußere Zugriff auf weibliche Körper durch die zugestandene individuelle Entscheidungsmöglichkeit verwehrt und so könnte von einer legitimierten Demokratisierung, ggf. auch Globalisierung biografischer Prozesse gesprochen werden. Wenn Abtreibungsgesetze als bevölkerungspolitisches Instrument verstanden werden und Menschen in den Niederlanden sich diesem durch deren liberale Gesetzgebung entziehen können, so entsagen sich fruchtbare Körper der vermeintlich staatstragenden Verantwortung zur Fortpflanzung. Dazu passt, dass die durchschnittliche Zahl der Kinder niederländischer gebärfähiger Personen seit Jahren rückläufig ist (1,57). Körper, die schwanger werden können, können dann keine Staats- geschweige denn Volkskörper mehr sein. Begrüßenswert.

Allerdings stellt sich wiederum die Frage, ob es das Ziel des niederländischen Abtreibungsgesetzes ist, individuelle Entscheidungsmöglichkeiten zu fördern oder dient auch dieses Gesetz dem Schutz von Leben (u.a. dem der ungewollt Schwangeren)?

Obgleich doch Unterschiedliches fokussiert wird, gehen beide in einem global wirkenden Kapitalismus Hand in Hand. Auch hier formiert sich ein Herrschaftsverhältnis orientiert am Geschlecht. Dieses wirkt sich so sehr auf weibliche Körper in den Niederlanden aus, wie es der Blick auf “weibliche” Körper als vom männlichen differenziert bleibt. Die Egalität und die Auflösung patriarchaler Verhältnisse, die man auf den ersten Blick u.a. bei diesem Klima der sexuellen und reproduktiven Selbstbestimmung vermuten könnte, lässt sich derweil, wie in fast allen anderen Ländern, nicht bestätigen. Auch in den Niederlande gibt es Feminizide2. Sexualisierte Gewalt wird strafrechtlich nur nach deutlichem Widerstand anerkannt. 45 Prozent der niederländischen Frauen3 erfahren Gewalt ab dem 15. Lebensjahr. In neun von zehn Fällen ist die gewaltausübende Person männlich.

In Bezug auf materialistische Zusammenhänge zeigen sich hinzukommend die Auswirkungen eines geschlechtsspezifischen Arbeitsverhältnisses: Männer dominieren im Bauwesen und in der Technik, Frauen im Pflege- und Verwaltungsbereich. Frauen arbeiten häufiger in Teilzeit (Frauen arbeiten durchschnittlich 26,6 Stunden pro Woche, Männer durchschnittlich 37,7 Stunden) und verdienen weniger. Hinsichtlich des Lohngefälles liegen die Niederlande im europäischen Durchschnitt (Deutschland ist fast führend)4. Das hat selbstverständlich auch Auswirkungen auf die Rente. Der Gender Pension Gap wurde von der Europäischen Kommission als Herausforderung der Niederlande ausgemacht5. Dem Gender-Pay-Gap liegt immer noch das Verständnis einer geschlechterspezifischen Arbeitsteilung und (Be-)Wertung zugrunde, dass sich nicht nur in finanziellen Asymmetrien zeigt, sondern eben tief in unsere Körper eingeschrieben ist. Eine CBS-Umfrage unter 12- bis 25-Jährigen ergab beispielsweise, dass nur 2,6 Prozent der Mädchen einem Vollzeitjob nachgehen wollen, wenn sie eine Familie haben. Mehr als 40 Prozent möchten maximal zwei Tage in der Woche arbeiten.6 Damit wird deutlich, dass es nicht alleine progressive Gesetzgebungen zur Abtreibung o.ä. braucht, um den Blick auf weibliche Körper als reproduktive bzw. ihre Körper als der Reproduktion dienlich zu verändern.

 

3) Welche Bedeutung hat das niederländische Abtreibungsrecht für Menschen in Deutschland oder anderen Nachbarländern?

Wenn wir an die Sternkampagne „Wir haben abgetrieben“ aus dem Jahr 1971 denken, dann konzentrieren wir uns wahrscheinlich eher auf den Mut der Selbst-Bezichtigenden, das Risiko einer Verurteilung wegen des Verstoßes gegen den Paragrafen 218 (der ja bis heute existiert) einzugehen und fragen uns weniger, wie sie eigentlich abgetrieben haben. Oder Wo. Spannenderweise in Polen nämlich. Oder in den Niederlanden.

Die sich ab den 1970er Jahren etablierende liberale niederländische Praxis lockte immer mehr deutsche und andere europäische Menschen im Fall einer ungewollten Schwangerschaft in die nahegelegenen Niederlande – bis heute. Dieses Phänomen wird als Abtreibungstourismus bezeichnet. 11 Prozent der Patient:innen, die 2018 Abtreibungen vornahmen, kamen aus dem Ausland, davon waren zwei Drittel aus Deutschland und Frankreich.7 Bei Abtreibungen nach der 12. Woche steigert sich der prozentuale Anteil deutlich, denn ungewollt schwangere Menschen sind trotz der mittlerweile liberalisierten Abtreibungsgesetzgebung z.B. wie in Deutschland immer noch auf die Möglichkeit, in den Niederlanden abzutreiben, angewiesen – z.B. im Falle von Vergewaltigungen. Diese und daraus entstehende Schwangerschaften gehören zu den Biografien vieler geflüchteter Menschen. Zwar ist in Deutschland bis zur 12. Woche nach Empfängnis die kriminologische Indikation nach Vergewaltigung möglich. Die ungewollt Schwangere muss also weder zur Beratung gehen noch eine Bedenkfrist einhalten. Doch bis eine geflüchtete Person in Deutschland angekommen ist, sind meistens Monate vergangen und der Weg in die Niederlande wird existenziell.

In Deutschland hatten 2018 laut Statistischem Bundesamt 2.163 Frauen zwischen der 12. und 22. Woche einen Abbruch.8 Nach Angaben des niederländischen Gesundheitsministeriums brachen im selben Jahr 1.237 Frauen mit Wohnsitz in Deutschland eine Schwangerschaft in den Niederlanden ab. Dies kann vielerlei Ursachen haben: Ärzt:innen aus Deutschland können es prinzipiell ablehnen, einen Abbruch durchzuführen und bei der Prognose, dass immer weniger Ärzt:innen Abbrüche durchführen, scheint der Weg in die Niederlande unausweichlich. Umgeben von einem niederländischen Klima der Akzeptanz und Legitimation entgehen ungewollt Schwangere mögliche Momente der Scham und Verurteilung, wie es einige für deutsche Zustände – lesbar in der Kampagne „Abtreibungsgeschichten“9 – beschreiben.

Möglicherweise hat die ungewollt Schwangere ihre Schwangerschaft aber erst sehr spät erkannt oder entscheidet sich nach der 12. Woche gegen das Austragen ihrer Schwangerschaft. Manchmal verunmöglichen verschiedene Fristen, die es in Deutschland zu beachten gilt (z.B. 3-Tage-Wartefrist zwischen Beratung und Behandlung), das Realisieren einer straffreien Abtreibung. Ungewollt Schwangere sind ab da per se auf das Wohlwollen Anderer und auf eine verständnisvolle medizinische Unterstützung und Zustimmung angewiesen.

In Deutschland müsste z.B. laut Gesetz ein Arzt oder eine Ärztin bescheinigen, dass ein Austragen der Schwangerschaft „eine Gefahr für das Leben oder die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes der Schwangeren“ darstellt. Fehlbildungen oder die Prognose eines ungesunden Kindes legitimieren hier eine psychische Notlage, psychosoziale Krisen dagegen nicht. Das ist vor allem deshalb spannend, weil so generell wesentlich mehr Spätabtreibungen (nach der 24. Woche) in Deutschland stattfinden als in den Niederlanden. 2018 gab es dort nur 11 solcher Spätabtreibungen, in Deutschland 655. In dem Kontext müssen kritische Fragen zum Anspruch einer „inklusiven“ Gesellschaft gestellt werden.

Doch vor allem für ungewollt Schwangere aus Polen, Malta o.ä., also in Ländern, in denen Abbrüche illegalisiert sind, stellt die „Reise“ nach Großbritannien oder die Niederlande eine existenzielle Notwendigkeit dar. Verschiedene Organisationen wie „Women on Web“ unterstützen bei der Planung, Finanzierung und Übersetzung des ganzen Prozesses. Außerdem gibt es die niederländische Organisation „Women on Waves“10, die auf einem Schiff im internationalen Gewässer Abtreibungen vor den Küsten von Ländern mit restriktiven Gesetzen durchführen, wo diese nicht gelten. Sie geben außerdem Workshops zur sexuellen Aufklärung und zum medizinischen Wissen und helfen ungewollt Schwangeren bei der Durchführung ihrer Abtreibung über das Internet.

Dass die Niederlande sich mit diesem sogenannten Abtreibungstourismus arrangieren, zeigt sich z.B. auch daran, dass die meisten Kliniken, die sich auf Abtreibungen spezialisierten, ihre Informationen auf Englisch, Deutsch, Französisch, Italienisch und Polnisch anbieten. Oftmals sprechen auch die Ärzt:innen 5 oder 6 Sprachen. Bei den sehr niedrigen Zahlen von Abtreibungen von Niederländer:innen fördert der Zulauf nicht nur den Erhalt der Abtreibungskliniken, sondern auch die Qualität von hochwertigen Schwangerschaftsabbrüchen, erfordern doch Abbrüche in höherem Trimestern hochqualifizierte Technik und Methoden. Wenn keine ungewollt Schwangeren mehr in die Niederlande kämen, wäre der Drang zur Spezialisierung gemindert. Selbst wenn in allen Ländern Europas Abtreibungen straffrei wären, würde es Jahre dauern, ehe sich deren Ärzt:innen auf diese Eingriffe spezialisiert haben und voll ausgebildet sind. In Deutschland gehören selbst Abtreibungen im 1. Trimester nicht einmal zum Ausbildungsplan. Deshalb ist vorherzusehen, dass das Reisen in die Niederlande für einen Schwangerschaftsabbruch (im zweiten Trimester) noch über Jahre andauern wird.

 

Links und Anmerkungen

1 Deutsche Übersetzung: „Obwohl ich denke, dass es hier wahrscheinlicher ist als anderswo, eine Person zu treffen, die entschieden gegen Abtreibungen ist, anderen Menschen aber trotzdem ein reproduktives Selbstbestimmungsrecht einräumt.
Für diese Personen beschränkt sich die Debatte nicht auf den Schwangerschaftsabbruch, den sie aufgrund ihres Glaubens und ihrer Werte ablehnen. Es ist ihnen wichtig, dass andere Menschen ihre eigenen Entscheidungen treffen können und die Möglichkeit haben, einen Schwangerschaftsabbruch durchführen zu lassen.“

2 Unbekannt (2019): “Minder slachtoffers moord en doodslag in 2018“. Online unter: https://www.cbs.nl/nl-nl/nieuws/2019/39/minder-slachtoffers-moord-en-do….

3 Beim Rekurs auf Studien sprechen wir bewusst von Frauen oder Männern, da diese ein binäres Geschlechtersystem zur Grundlage ihrer Forschung wählten.

4 Unbekannt (2020): „Loonkloof tussen mannen en vrouwen in Europa: feiten en cijfers (infografiek)“.Online unter: https://www.europarl.europa.eu/news/nl/headlines/society/20200227STO735…

5 European Commission (2020): „2019 Report on equality between women and men in the EU“ Online unter: https://ec.europa.eu/info/sites/info/files/aid_development_cooperation_…

6 Unbekannt (2016): „Ook meeste jongens willen minder werken als er kinderen komen“ Online unter: https://nos.nl/artikel/2107283-ook-meeste-jongens-willen-minder-werken-…

7 IGJ (2019):“Jaarrapportage Wet Afbreking Zwangerschap 2018“. Online unter: https://www.igj.nl/publicaties/rapporten/2020/02/06/jaarrapportage-wet-…

8 Statistisches Bundesamt (2019): „Schwangerschaftsabbrüche 2018“. Online unter: https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Gesundheit/Schwan…

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