Gott sei Dank? – Zum Rücktritt von Landesbischof Rentzing

(kirchenkritisches Flugblatt von 1973)

2015 wurde Carsten Rentzing in einer knappen Wahl zum evangelischen Landesbischof in Sachsen gewählt. Als Vertreter erzkonservativer Auffassungen wurde er schon damals (auch von uns) deutlich kritisiert, nicht zuletzt wegen seiner homophoben Ansichten. Wir haben damals unsere Befürchtung zum Ausdruck gebracht, dass rechte Positionen durch die Wahl eines reaktionären Theologens an die Kirchenspitze zusätzliche Unterstützung erfahren werden. Rentzing hat in den letzten Jahren bewiesen, dass er seine Macht, seine Möglichkeiten und Netzwerke immer wieder genau dafür genutzt hat.

Während seiner Amtszeit wurde die Kritik daher nicht leiser, auch wenn Rentzing immer wieder versuchte, innerkirchliche Debatten um die politische Ausrichtung der Landeskirche als intrigante Spaltungsversuche zu labeln und zu unterbinden.
Leider gab es dafür immer wieder unerfreuliche Anlässe, was zu einer Reihe kleinerer und größerer Skandale führte, die in vielen Fällen nicht einmal an die Öffentlichkeit gelangten.

Wir können hier nur einen sehr kleinen Ausschnitt anführen, aber der ist entlarvend und erschreckend genug:
So unterstützte er regelmäßig den antifeministischen “Marsch für das Leben” von Abtreibungsgegner_innen in Berlin mit Grußwörtern und rief 2018 implizit zur Teilnahme am “Schweigemarsch für das Leben” in Annaberg-Buchholz auf.
Auch im Wahlkampf ließ sich Rentzing die Unterstützung rechter Positionen nicht nehmen, so forderte er einen „angstfreien und vernünftigen Umgang“ mit der AfD ein und wünschte sich einen Dialog mit ihren Wählern. Hinzu kam noch ein Vortrag bei der “Bibliothek des Konservatismus”, einem Thinktank der Neuen Rechten.

Mit dem Bekanntwerden der Mitgliedschaft des Landesbischofs in der pflichtschlagenden Landsmannschaft Hercynia schien das Ende der Fahnenstange erreicht (wobei sich historisch gesehen Männerbündelei und Waffenaffinität nicht unbedingt mit kirchlichen Institutionen kollidieren müssen, sondern teils auch sehr enge Allianzen bildeten). Doch die nun aufgetauchten demokratiefeindlichen, elitären und völkischen Artikel in einer von ihm mit herausgegebenen extrem rechten Zeitschrift machen es nun endgültig unmöglich, weiter mit Verschleierungstaktik und Aussitzen der Kritik Rentzings Posten und Einfluss zu sichern. Schlussendlich hat sich der machtpolitische Schachzug reaktionärer Kräfte in der Kirche – das Durchdrücken Rentzings auf der Synode 2015 – als Bumerang erwiesen.

Ebenfalls bemerkenswert: schon damals stellten Rentzings Unterstützer_innen jede Kritik an seinen reaktionären Einstellungen und der tatkräftigen Diskriminierung von Homosexuellen als die wirkliche Ausgrenzung und Spaltung dar. Auch jetzt verbreiten evangelikale Kreise über die “Evangelische Nachrichtenagentur” idea wahlweise Dolchstoßlegenden über “Linksorientierte Christen” oder verteidigen Rentzing gar noch.
Helmut Matthies, Vorstandsvorsitzender von idea und Freund des scheidenden Landesbischofs geht bei seiner Verteidigungsschrift in die Vollen: er verharmlost Rentzings extrem rechten Ausfälle als lediglich “politisch unkorrekte” Jugendsünden, verdreht die Mitgliedschaft in der pflichtschlagenden Landsmannschaft Hercynia mit bemerkenswerter Chuzpe zum Dienst an der Demokratie (“Mehr als alle Kirchen zusammen haben sich im 19. Jahrhundert Studentenverbindungen für Freiheit und Demokratie eingesetzt”) und wählt zur Krönung dann das klassische Ablenkungsmittel aus dem reaktionären Rhetorikarsenal: den Fingerzeig auf die bösen Linksextremisten, die jetzt offenbar auch noch fleißig die Kirche unterwandern und den “Hoffnungsträger der Basis” mit fiesen Petitionen wegmobben.

Woher dieser Eifer, nachdem der Rücktritt schon besiegelt ist? Nun, zum einen sehen die selbsternannten “theologisch Konservativen” religiösen Fundamentalist_innen ihre letzte Bastion in der evangelischen Kirche in Deutschland in Gefahr. Zum anderen hatte Rentzing ihr Sprachrohr idea noch 2018 mit einem Zuschuss von 15.000€ versorgt, nachdem der Geldfluss von der EKD-Synode ins Stocken geraten war – hier wäscht noch eine Hand die andere.

Für uns bleibt es dabei: die sächsische evangelisch-lutherische Landeskirche muss sich Gedanken darüber machen, wie sie den Lebensrealitäten ihrer nicht-heterosexuellen Mitglieder mit Respekt statt Abwertung entgegen treten kann. Auch die ideelle und logistische Unterstützung von fundamentalistischen Abtreibungsgegner_innen muss endlich ein Ende haben, antifeministische Positionen geächtet statt geduldet werden.
Ein erster Schritt dazu wäre ein klares Bekenntnis, dass die Diskussionen um eine Modernisierung der kirchlichen Positionen zur Sexualethik progressiv weitergeführt werden. Selbst wenn Rentzing nun seinen Hut genommen hat, werden evangelikale und pietistische Kräfte in der Kirche, allen voran die von ihm unterstützte homofeindliche “Sächsische Bekenntnis-Initiative” das Rad weiter zurück drehen wollen, auch um den Preis der endgültigen Spaltung zwischen “liberalen” und “konservativen” Christ_innen.
Die innerkirchlichen Diskussionen und Debatten in den letzten Wochen spiegeln wohl die aktuelle gesellschaftspolitische Situation in Sachsen wider, die auch am Ergebnis der Landtagswahl zu erkennen ist. Dementsprechend muss auch hier klare Kante gegen den Rechtsruck gezeigt und für eine offene und freie Gesellschaft eingetreten werden, statt Appeasementpolitik zu betreiben. Die Landeskirche täte gut daran, der proklamierten Abgrenzung von rechtsextremen, menschen- und demokratiefeindlichen Tendenzen auch entsprechende Taten folgen zu lassen.

Dieser Schritt ist deswegen wichtig, weil die kirchliche Praxis auch über ihre Schäfchen hinaus Wirkung entfaltet. Wir können die innerkirchlichen Auseinandersetzungen daher nicht einfach als irrelevant abtun. Durch öffentliche Ansprachen, aber auch über die vielfältigen Verflechtungen mit politischen Institutionen wie Parteien, Posten in Rundfunk- und Aufsichtsräten et cetera ist die Kirche in den gesellschaftlichen Diskurs involviert. Sofern die sächsische Landeskirche nicht in der Lage ist, diesen mit progressiven Positionen zu beeinflussen, kann die einzige emanzipatorische Forderung nur sein, ihr Wirken komplett ins Private zu verbannen, um wenigstens den Schaden für Un- bzw. Andersgläubige zu minimieren.

 

Zum Abschluss noch eine Sammlung von Links zu weiterführenden Infos:

Twitter-Thread von B. Kramer über Rentzing und seine Netzwerke (hier auf einer Seite gesammelt)
Petition “Nächstenliebe verlangt Klarheit” mit der Aufforderung an den Bischof zur Stellungnahme und Distanzierung von den Neuen Rechten.

Carsten Rentzing: Warum der Bischof zurücktritt

WDR/Tagesschau: Aufdeckung der Beteiligung Rentzings an der extrem rechten Zeitschrift “Fragmente – das konservative Kulturmagazin”
Jump-Interview mit Christian Wolff zum Umgang Rentzings mit Kritik.

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