Stellungnahme zu den Berichten über sexuelle Übergriffe durch Ronald Zenker und das Vorgehen des CSD Dresden e.V.

Wie in vielen anderen Städten ist auch in Dresden der CSD ein relevanter Bestandteil der queeren Szene. Und wie überall wird auch in Dresden gerne über politische Positionen, thematische Schwerpunkte und die allgemeine Ausrichtung diskutiert und gestritten. Auf der einen Seite haben wir als feministische Gruppe Veranstaltungen gegen homofeindliche Kundgebungen unterstützt, an denen ebenso der CSD Dresden e.V. beteiligt war12. Auf der anderen Seite haben wir den CSD Dresden auch kritisiert, zum Beispiel als es um eine Preisverleihung an Helma Orosz ging3.

Das alles kann als normales Verhältnis zwischen eher bürgerlichen und linken-kritischen Akteur_innen gelten, mit den zu erwartenden Reibungspunkten. Allerdings mussten wir in der Vergangenheit immer wieder die Erfahrung machen, dass der CSD Dresden e.V. und in persona Ronald Zenker – vorsichtig ausgedrückt – keinen guten Umgang mit Änderungsvorschlägen, Kritik oder einfach nur anderen politischen Analysen und Ansätzen als den eigenen an den Tag legten.

Damit konnten wir als Gruppe durchaus umgehen, und auf gemeinsame Aktivitäten oder Versuche eines inhaltlichen Austauschs einfach verzichten. Mit den nun öffentlich gewordenen Berichten4 über das Verhalten von Ronald Zenker gegenüber queeren Geflüchteten ist allerdings eine klare Grenze überschritten worden. Wir erachten die Berichte für glaubhaft und solidarisieren uns mit den Betroffenen.

Wir nehmen in Bezug auf sie eine enorme Entsolidarisierung wahr. Von Menschen, die von rassistischer und queerfeindlicher Diskriminierung und sexualisierter Gewalt betroffen sind, wird verlangt, Beweise für letztere einzubringen. Doch selbst einer eidesstattlichen Erklärung einer der betroffenen Personen wird kein Glauben geschenkt.

Bei solchen Reaktionen darf man sich nicht wundern, wenn Betroffene nur selten von ihren Erlebnissen berichten. Auch Anzeigen von Personen zu fordern, die staatlicher Diskriminierung ausgesetzt sind, sei es in ihren Herkunftsländern oder in Deutschland, ist eine Form der Entsolidarisierung mit diesem Menschen.

Leider ist auch auf Seiten des Vorstandes des CSD Dresden e.V. bislang keine Bereitschaft zu erkennen, sich selbstkritisch mit den Schilderungen auseinanderzusetzen und diese aufzuarbeiten. Nicht zuletzt deswegen sehen wir uns gezwungen, hier klar Stellung zu beziehen.

Viel zu oft haben wir erleben müssen, dass die einzige Reaktion auf Kritik am CSD Dresden oder Ronald Zenker in Ignorieren, Verharmlosen und Aussitzen bestanden hat. Das muss ein Ende haben, sonst wird nicht nur die Verunsicherung und Spaltung in der Szene verstärkt, sondern auch Angriffen von rechter Seite weiterhin Tür und Tor geöffnet. Diese werden nicht nur den CSD (egal ob als Verein, Demonstration oder Aktionswoche) betreffen, sondern die gesamte queere Szene ins Visier nehmen.

Wir möchten kurz einige Kritikpunkte aus unserer Sicht nennen. Dabei führen wir auch ältere Vorfälle an – nicht, weil wir so gerne vergangene Geschichten wieder aufwärmen, sondern weil sich seit der “Übernahme” des CSD Dresden durch Ronald Zenker 2011 die hochproblematische Umgangsweise mit Konflikten wie ein Roter Faden durchzieht. Auch wenn unsere Erfahrungen deutlich weniger gravierend sind, als die Berichte der queeren Geflüchteten unter seiner Obhut, halten wir diese Kurzübersicht für einen umfassenden Blick auf die Gesamtproblematik relevant.

  • Unser erster Reibungspunkt war die oben erwähnte Verleihung des “Toleranzpreises” an die damalige CDU-Oberbürgermeisterin Helma Orosz. Die Reaktion beim CSD auf fünf Personen, die mit Pappschildern dagegen protestierten: Einige Organisator_innen und andere Besucher_innen gingen teilweise aggressiv gegen die Protestierenden vor, entrissen bzw. zerstörten ihre Schilder und forderten sie zum Gehen auf. Eine inhaltliche Auseinandersetzung vor Ort oder im Nachhinein? Fehlanzeige, stattdessen Totschweigen.
  • 2018 kam es zu einem kleinen Eklat, als auf der CSD-Parade vom Verein engagierte Securities mit Nazi-Symbolik und rechten Äußerungen aufgefallen sind5. Statt das Problem anzuerkennen und für Abhilfe zu sorgen – oder zumindest Problembewusstsein erkennen zu lassen – versuchte Zenker die Kritik durch den Vorwurf an Kritiker_innen abzutun, sie würden das Naziproblem hochkochen.
  • Im Nachgang gab es verschiedene Versuche, mit dem Vorstand des CSD Dresden konstruktiv über Möglichkeiten zu reden, wie die CSD-Parade für queere Menschen, und insbesondere Geflüchtete wieder zu einem Wohlfühlort gemacht werden kann. Die konstruktiven Ideen wurden allesamt abgeblockt, bis heute gibt es anders als z.B. in Leipzig keine Unvereinbarkeitserklärung6 des CSD Dresden zu menschenfeindlichen Positionen, sowie extrem rechten und rechtspopulistischen Parteien.
  • Ebenfalls 2018 teilte CSD-Dresden-Vorstandsmitglied Mathias Eibisch auf Facebook ein Posting des AfD-Abgeordneten Ivo Teichmann, in welchem die rassistischen Angriffe eines rechten Mobs auf vermeintlich Nichtdeutsche verharmlost wird.
  • Dieses Jahr waren nach Augenzeugenberichten wieder Securities mit eindeutiger Bekleidung (Aufdruck “Ostdeutschland” in Frakturschrift) zur Absicherung der Bühne eingesetzt.
  • Wir könnten auch noch diverse Erfahrungen mit Zenkers Verhalten in nichtöffentlichen Begegnungen – spezifisch gegenüber Frauen – anführen. Wir streben allerdings keine Schlammschlacht, sondern eine politische Aufarbeitung der Geschehnisse an und wollen seinen Versuchen, die Debatte auf vermeintliche private Intrigen zu reduzieren, keinen Vorschub leisten.

Doch zurück zu den seit Anfang Juni 2019 bekannten Berichten über sexuelle Handlungen mit Schutzbefohlenen. Die Reaktion von Zenker besteht aus Verleugnen, Irreführung und Ablenkungsmanövern7. Statt sich der Kritik zu stellen, greift er wahllos alle an, die ihn kritisieren oder seine Position gefährden könnten. Wahlweise sei die ganze Sache eine Intrige, andere würden auch Dreck am Stecken haben, er habe doch alles richtig gemacht – oder alles zusammen.

Verschiedene Behauptungen von Zenker können schon jetzt als widerlegt gelten:

  • Die Generalvollmachten und ihre Bedeutung wurden den Geflüchteten nicht immer mündlich übersetzt – im Projekt sind auch gar keine Dolmetscher_innen angestellt.
  • Das BAMF befürwortet nicht den Einsatz von Generalvollmachten.
  • Die Beschuldigungen Zenkers gegen die Caritas wurden ebenso zurückgewiesen.
  • Irreführend und fast schon perfide scheint das Dementi von Zenker formuliert zu sein, wenn er verlauten lässt „Ich habe weder sexuelle Handlungen zur Voraussetzung für die Unterstützung für Geflüchtete gemacht, noch habe ich eine Unterstützung aus diesen Gründen versagt.“ Diese Formulierung scheint exakt so formuliert zu sein, dass sie eine Beschuldigung nach §177 StGB (Vergewaltigung/sexuelle Nötigung) abwehren soll. Sie lässt jedoch komplett offen, ob er sexuellen Kontakt mit von ihm betreuten Personen gehabt hat – was für sich allein schon ein gravierender Verstoß gegen alle Grundlagen sozialer Arbeit und möglicherweise als sexueller Mißbrauch von Hilfsbedürftigen zu werten wäre.
  • Inzwischen ist bekannt, dass Zenker den Pegida-Anwalt8 Frank Hannig beauftragt hat, um die aus Dresden berichtenden Medien unter Druck zu setzen, ihre Quellen aufzudecken. Wir halten es an Zynismus kaum zu überbieten, wenn der Landeskoordinator zur Unterbringung von queeren Geflüchteten einen Anwalt in die Spur schickt, der die Gründung des PEGIDA-Fördervereins unterstützt hat und als Sprecher einer rassistischen “Elterninitiative” gegen eine geplante Flüchtlingsunterkunft in Prohlis aufgetreten ist.

Dies allein sollte ausreichen, um Ronald Zenker aus jeglichen queeren Räumen und Strukturen auszuschließen, bis er sich ernsthaft mit seinem Verhalten auseinandergesetzt und es verändert hat.

Auch dem ihn deckenden restlichen Vorstand des CSD Dresden ist gehörig der Kopf zu waschen. Und die Mitglieder des CSD Dresden e.V. müssen sich fragen lassen, warum sie nicht schon früher interveniert und Schaden vom CSD, dem queeren Dresden und besonders auf Schutz und Hilfe angewiesenen Menschen abgewendet haben.

Wir wünschen uns von einer progressiven queeren Szene einen angemessenen und selbstkritischen Umgang mit Kritik, eine konstruktive Debatte bei politischen Differenzen und mehr Bewusstsein für strukturelle Unterdrückungsmechanismen.

Unsere Ansprüche einer diskriminierungs- und herrschaftsfreien Gesellschaft müssen wir auch an uns selbst anlegen. Das heißt nicht zuletzt, Machtpositionen zu hinterfragen und Hierarchien abzubauen.

Wir sagen:

  • Schluss mit dem Aussitzen von Kritik!
  • Schluss mit der Verharmlosung und fehlenden Konsequenzen!
  • Schluss mit der Abwehr von Kritik als Spaltungsversuch oder Privatintrige!
  • Schluss mit Geklüngel und Verantwortungsabwehr im CSD Dresden e.V.!

Um die Kritik zu konkretisieren, äußern wir dem CSD Dresden e.V. gegenüber folgende Forderungen:

  • Die Suspendierung von Zenker als Projektkoordinator für die Unterbringung queerer Geflüchteter in Sachsen
  • Strukturelle Maßnahmen zur Prävention vor dem Ausnutzen von Abhängigkeitsverhältnissen – in allen Bereichen des Vereinslebens
  • Die Einstellung von fachlich adäquat qualifizierten Menschen statt Vergeben von Posten nach Vereinsmeriten
  • Den Rückzug von Zenker aus dem Vorstand des CSD und allen queeren Zusammenhängen, mindestens solange die Vorwürfe nicht entkräftet sind und Zenker sich ausführlich und glaubhaft mit seinem Verhalten auseinandergesetzt hat, Fehler einsieht und aktiv an einer Verhaltensänderung arbeitet
  • Den Beschluss einer Unvereinbarkeitserklärung & eine glaubhafte Distanzierung von rechten und populistischen Personen, Parteien und Positionen
  • Die Beendigung der Zusammenarbeit mit rechten oder rechtsoffenen Sicherheitsfirmen
  • Eine Stellungnahme von Matthias Eibisch zum Verbreiten und Befürworten des Postings eines AfD-Landtagsabgeordneten, in dem Nazi-Gewalt verharmlost wird.

Zusätzlich halten wir es für unbedingt notwendig:

  • Dass die Geflüchtetensozialarbeit finanziell solide und mit qualifiziertem Personal ausgestattet ist.
  • Dass queeren Geflüchteten auf Augenhöhe begegnet wird und auf paternalistische Maßnahmen wie Generalvollmachten und Zimmerkontrollen/ unabgekündigte Wohnungsbesuche verzichtet wird.
  • Dass die Vorwürfe der Betroffenen ernst genommen, unter Berücksichtigung ihrer besonderen Lage sensibel und grundlegend aufgeklärt und geahndet werden.
  • Dass Petra Köpping, der das Projekt der Landeskoordination sehr am Herzen zu liegen scheint, klar Stellung bezieht.

Solange keine Konsequenzen gezogen werden, halten wir den CSD Dresden e.V. aus politischen, fachlichen und sozialen Erwägungen für untragbar. Wir rufen alle Menschen, Sponsor_innen und Institutionen dazu auf, Kooperationen, Förderungen oder gemeinsame Projekte einzustellen, solange durch den CSD Dresden und Ronald Zenker keine adäquate Aufarbeitung erfolgt.

Die Umsetzung der Forderungen wäre ein wichtiges Signal an die verunsicherte Szene, die durch das Handeln von Einzelpersonen gelähmt, eingeschüchtert und verunsichert ist.

Wir brauchen gerade in Zeiten homofeindlicher und antifeministischer Mobilmachungen wieder mehr Selbstbewusstsein und Solidarität, mehr Raum und Energie für queeres, auch unbequemes Engagement für eine Gesellschaft ohne Diskriminierung und Ausgrenzung!


2 thoughts on “Stellungnahme zu den Berichten über sexuelle Übergriffe durch Ronald Zenker und das Vorgehen des CSD Dresden e.V.

    1. Diese Stellungnahme ist notwendig, um queeren Projekte in Dresden wieder glaubhaft zu machen.
      Außerdem ist sie glasklar formuliert und mit Verweisen zu anderen Berichten ausgestattet. Wer diese Stellungnahme so nicht akzeptieren kann, ist voreingenommen.

Schreibe einen Kommentar zu Paul Raschka Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert